Roter Riesenstern zerstört Radioskop
War Astro-Peiler den Weltraumwesen unbequem?
Von unserem Mitarbeiter Otto Becker
Der riesige Radarschirm des Astro-Peilers ist in mehrere Teile zerbrochen. Aluminiumträger ragen haushoch in den Himmel. Das Gelände ist übersät mit Trümmern und Leichtmetallteilen. Staatssekretär Brandt (Bildmitte) und Mitarbeiter der Bonner Universitäts-Sternwarte, darunter auch dessen Leiter, Professor Dr. Becker (mit Baskenmütze), unterhalten sich and der Unfallstelle über die möglichen Ursachen des Unglücks.
Foto: Otto Becker
E s c h w e i l e r b e i M ü n s t e r e i f e l (gb) - Ohrenbetäubendes Krachen erfüllte am Sonntag gegen 15 Uhr die Luft. Panikartig stürzten die Bürger aus den Häusern. Auf dem Stockert - Standort des Astro-Peilers - stieg eine riesige Staubwolke, die sich fächerförmig ausbreitete, in den Himmel. Nachdem sich der Staub verzogen hatte, sahen die Menschen, die immer noch wie angewurzelt und schreckensbleich auf der Straße standen, die Bescherung: der große, 25 Meter im Durchmesser messende Radarschirm des Radio-Teleskops hing in Fetzen auf dem Betonsockel.
Jetzt hielt es die Menschen nicht länger. Bürgermeister Kolvenbach stürzte ans Telefon, und jung und alt liefen den Berg hinauf zum Stockert. Der Astro-Peiler bot ein Bild des Schreckens: die einzelnen Spieren des Radarschirms waren total verbogen und zum Teil ineinandergeschoben, einzelne Träger waren abgebrochen, und der Boden war in weitem Umkreis übersät mit Trümmern und Metallteilen. Die Astronomen standen schreckensbleich daneben und wußten nichts zu sagen. Dr. Priester, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bonner Universitäts-Sternwarte, bemühte sich um einige Leichtverletzte.
Hilfsmannschaften kamen
Dank der hohen Lage des Astro-Peilers war das Unglück von allen Seiten beobachtet worden. Die Technische Nothilfe gab Großalarm. Kurze Zeit nach dem Unglück trafen Hilfsmannschaften aus Euskirchen, Münstereifel und Mechernich ein. Auch die Freiwilligen Feuerwehren rückten an. Der Leiter der Bonner Universitäts-Sternwarte, Professor Dr. Becker, und Staatssekretär Brandt (Düsseldorfer Ministerium) trafen noch am Nachmittag auf dem Stockert ein.
Über die Ursachen die Unglücks liegen sich zum Teil widersprechende Meldungen vor.
- Professor Sternli von der Züricher Sternwarte - er weilt zur Zeit in Münstereifel zur Kur - hatte wenige Stunden zuvor noch den Astro-Peiler besichtigt und äußert auf Befragen die Vermutung, daß bei Aufstellung des Spiegels vermutlich der Lichtdruck der Sterne falsch berechnet worden sei.
- Von anderer Seite wurde dies mit dem Hinweis bestätigt, daß möglicherweise das Plancksche Wirkungsquantum "h" einer Korrektur bedürfe. Die Energie der im ständigen Strom auf das Teleskop prasselnden Lichtquanten sei zu groß gewesen.
"Fliegende Untertassen?"
An der Unfallstelle erklärten mehrere Bürger aus Eschweiler und Holzheim, daß sie unabhängig voneinander einen hellen Flugkörper gesehen hätten, der kurz vor dem Unglück über dem Stockert kreiste. Sollten etwa planetarische Wesen ein Interesse an der Vernichtung des Astro-Peilers haben? Wollten sie sich auf diese Weise vielleicht gegen die Belauschung ihres Planeten sichern?
Das Unglück ist um so schmerzlicher, als erst vor wenigen Tagen ein aufsehenerregender Erfolg in der Station auf dem Stockert verzeichnet wurde. Wie wir erst jetzt erfahren, gelang es den Astronomen auf dem Stockert, mit dem Astro-Peiler eine Rundfunksendung des Deutschlandsenders aus dem Jahre 1933 aufzufangen, die durch die damaligen turbulenten Verhältnisse in der Erdatmosphäre in den Weltenraum und zu dem roten Riesenstern Antares in einer Entfernung von zwölf Lichtjahren gelangte. Dort wurde die Rundfunksendung reflektiert und kehrte nun nach 24 Jahren in den Empfangsspiegel zurück. Durch den interstellaren Dopplereffekt wurde die Sendung allerdings so stark verzerrt, daß die damals ausgesandte Marschmusik leicht rötlich gefärbt zurückkam.
Die Astronomen auf dem Stockert vermuten, daß der Empfangsspiegel dem intensiven Strahlungsdruck dieser Sendung vielleicht nicht standhalten konnte und durch die rhythmischen Erschütterungen der Marschmusik zerbarst.
Sabotage nicht ausgeschlossen
Das Bundeskriminalamt, das sich ebenfalls einschaltete, verfolgt eine andere Spur und vermutet einen Sabotageakt. Die Astronomen auf dem Stockert bezweifeln diese Theorie jedoch, weil das Gelände bei Tag und Nacht durch elektronische Überwachungsgeräte kontrolliert wird. Dennoch setzt das Bundeskriminalamt seine Ermittlungen fort. Bis zur Stunde darf das Gelände hinter der Umzäunung des Astro-Peilers nicht betreten werden.
Kurz nach dem Unglück wurden sämtliche Ausfallstraßen in den Kreisen Euskirchen und Schleiden gesperrt und alle Fahrzeuge einer strengen Kontrolle unterzogen.
Der Fahrer eines Mopeds wurde kurzfristig festgenommen, da ein Poizeibeamter ein verdächtiges Buch bei ihm fand. Er wurde kurze Zeit später wieder freigelassen, weil sich herausstellte, daß es das Buch "Sternstunden der Menschheit" von Stefan Zweig war. Der mißtrauische Polizeibeamte hatte sich vor allem durch das Wort "Sternstunden" irreführen lassen.
Stimmen zum Unglück
- Staatssekretär Brandt: "Das Unglück ist sehr zu bedauern. Über die vermutliche Ursache möchte ich nichts sagen. Ein neuer Spiegel, wahrscheinlich mit einem noch größeren Durchmesser, wird sofort in Auftrag gegeben. Mit der Montage dieses Spiegels kann schon in sechs Wochen begonnen werden."
- Professor Dr. Becker: "35 Minuten nach dem Unglück war ich schon auf dem Stockert. Was soll ich dazu sagen? Meiner Meinung nach ist es falsch, voreilig zur urteilen. Die Bonner Sternwarte wird die Presse und damit die Öffentlichkeit frühzeitig in sachlicher Form unterrichten."
- Dr. Priester: "Im Augenblick des Unglücks befand ich mich auf der Treppe zur Aussichtskabine. Ich vernahm ein ohrenbetäubendes Krachen. Was dann weiter geschah, vermag ich nicht mehr zu sagen. Ich bin froh, daß es keine Toten und Schwerverletzten gab."
Montag, 1. April 1957, Kölner Stadt-Anzeiger,
Eu, Nummer 77 - Seite 7
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